Erinnert sei an den Antrag, der zur Selbstbeteiligung aller Ratsmitglieder an der Streichliste des Cloppenburger Haushalts aufrief. Der Antrag selbst wurde ausschließlich hinter verschlossenen Türen, und anschließend pro forma im Verwaltungsausschuss, diskutiert und natürlich in aller Förmlichkeit abgelehnt. Eine Aussprache hat es in der öffentlichen Ratssitzung nicht gegeben. Alle Fraktionen stimmten ohne jeglichen Diskurs geschlossen gegen eine finanzielle Eigenbeteiligung in der Corona-Krise. Die politischen Absprachen in Hinterzimmern sollten zu denken geben.
Die Art und Weise zeigt, dass der demokratische Prozess der Lokalpolitik immer mehr zum Erliegen kommt. Ohne kritisch-distanzierten Diskurs wird Demokratie nicht gelebt. Für konkreten Moment war sie abgeschafft zugunsten einer quasi Meinungsdiktatur. Jeder Leser, der an Einzelheiten interessiert ist, kann das hier nachlesen. (09)
Über den Folgeantrag wurde in der Ratssitzung am 2. November 2020 entschieden. Beantragt wurde der Verzicht der Stadt Cloppenburg auf Parkgebühren, z.B. an Freitagen und Samstagen. Hierdurch wäre es der Cloppenburger Politik möglich gewesen, den Bürgerinnen und Bürgern ein solidarisches Zeichen zu setzen. An diesen Tagen wären keine Parkgebühren fällig gewesen. Profitiert hätte zudem der Einzelhandel, denn ein Einkauf ohne Zeitdruck ihrer Kunden hätte mehr Umsatz bedeuten können. Doch der überwiegende Teil der Cloppenburger Politik verharrte auf dem einen Quadratmeter der eigenen Erregung. Antrag abgelehnt!
Eine solidarische Geste? Nicht doch! Lieber bedient man Sportvereine mit Zuschüssen von über 800.000 Euro. Zugesagt sind Kunstrasenplätze, die verheerende Umweltbilanzen versprechen. Freiwillige finanzielle Leistungen, an denen man doch eigentlich sparen wollte. Abgesagt der versprochene Ökowettbewerb der Cloppenburger Schulen „Plastikfreies Cloppenburg“. Der hätte nun auch gar nicht gepasst. Doch Kunstrasenplätze sind dem Wahlkampf geschuldet. Koste, was es wolle! Als Hauptnutznießer gilt die CDU, profitierend von der politischen Erblindung der Sozialdemokraten.
Ist es in dieser Geberstimmung zu viel verlangt, von der Cloppenburger Politik folgendes zu erwarten? Vor allem dann, wenn bereits der zweite Lock-Down angekündigt ist?
1. Der Rat der Stadt Cloppenburg möge die Bürger*innen in diesen schwierigen, oft existenzbedrohenden Zeiten finanziell entlasten, indem sie an zwei ausgewählten Wochentagen (Freitag/Samstag) von den Parkgebühren befreit werden.
2. Die Maßnahmen sind mit dem Datum des Beschlusses auf ein Kalenderjahr zu begrenzen.
Genau das war der Antrag. Zugleich war er ausführlich begründet. Das kann im Folgenden nachgelesen werden:
[Beginn der Begründung]
„In der vergangenen Ratssitzung am 20.07.2020 wurde folgender TOP behandelt: "Gebührenverzicht zur Förderung der heimischen Wirtschaft". Beschlossen wurde ein Verzicht auf Erhebung von Gebühren für genutzte Außenflächen von Unternehmen wie z.B. Gastronomie, Cafés, Einzelhandelsgeschäfte etc.
Dieser Beschluss bedarf einer Ergänzung, da ausschließlich die heimische Wirtschaft bedacht wird, und das nicht zum ersten Mal. Vergessen werden hierbei die finanziellen Sorgen der Bürger*innen, die sich aufgrund der Maßnahmen in der Corona-Krise ergeben haben. Aus sozialpolitischer Perspektive ist es nunmehr zwingend geboten, gerade auch den Bürger*innen begrenzt finanzielle Entlastungen anzubieten. Genau das wäre eine solidarische Geste der Cloppenburger Politik!
Im März 2020 wurde aufgrund der angenommenen Corona-Pandemie ein deutschlandweiter Lock-Down ausgerufen. Gewerbe, Wirtschaftsbetriebe, Unternehmen, öffentliche und soziale Einrichtungen wurden geschlossen. Die Folgen waren Kurzarbeit oder Arbeitsplatzverlust. Das übrigens auch im Gesundheitswesen. Z. Zt. gibt es in Deutschland 5 Millionen Kurzarbeiter*innen.Real wird weniger verdient als zuvor. (10) Zwar wird Kurzarbeit noch von der Bundesregierung bezuschusst, dennoch kann diese Bezuschussung nur zeitlich begrenzt sein. Erst dann werden die Auswirkungen des Lock-Downs voll zur Geltung kommen. (11)
Von den allgemeinen Arbeitsmarktbeschränkungenbesonders betroffen ist das Oldenburger Münsterland. Aufgrund des extensiven Niedriglohnsektors treffen die Auswirkungen des Corona-Lock-Downs diese Menschen besonders hart. Selbst dieArbeitgeber warnen, dass bald über Entlassungen statt Kurzarbeit nachgedacht werden müsse. Inzwischen aber werden Menschen zu Hartz-IV-Empfängern, denen es vor Corona eigentlich gut ging. (12)
Viele Menschen können ihre Kredite nicht mehr bedienen. Das hat auch Folgen für die Kreditwürdigkeit von Banken in Deutschland. (13) Diese könnte bald heruntergestuft werden. Somit werden die Banken ebenfalls über Entlassungen nachdenken müssen. Massive Staatshilfen werden die allgemeine Entlassungswelle nicht stoppen. So erhalten Konzerne und Unternehmen mehrere Milliarden Euro an Staatshilfen und streicht als Dankeschön tausende Stellen. Zudem droht laut Experten in naher Zukunft eine Welle von Privatinsolvenzen. Aber auch die wirtschaftlichen Folgen werden verheerend sein. Nämlich dann, wenn die Aussetzung der Pflicht zur Insolvenzanmeldung ausläuft. (14) Deutschland wird 2020 rund 81,6 Milliarden Euro weniger Steuern einnehmen als 2019. 2021 ist mit einer weiteren Steigerung diese Ausfälle zu rechnen. Trotz anderslautender Hinweise werden niemals wieder so viele Arbeitsplätze existieren wie vor der Corona-Krise.
Unter diesen Bedingungen kann es nicht sein, dass Unternehmen großzügig subventioniert werden, die Bürger*innen in diesem Sinne aber wenig Beachtung finden. Die zeitlich begrenzte Befreiung von Parkgebühren kann dazu beitragen, den Kaufanreiz der Bürger*innen zu fördern und damit das Anliegen der Geschäftsleute auf mehr Umsatz unter gleichzeitiger Einsparung von Gebühren zu unterstützen.
Nunmehr steht die Glaubwürdigkeit der Politik auf dem Prüfstand. Politik muss überzeugend und ausgewogen wirken. Zuwendungen an bestimmte Unternehmen –konkret der Verzicht der Stadt Cloppenburg auf Gebühren Cloppenburger Unternehmen- sind aufgrund der Corona-Krise sinnvoll, verlangen aber einen ausgewogenen Ansatz, der den Bürger*innen einen demonstrativ solidarischen Ausgleich zubilligt.
Genau das mildert Politikverdrossenheit, die zunehmend um sich greift. Denn besonders die Bürger*innen leiden unter massiven Einkommensausfällen durch Lohnkürzungen oder durch Jobverlust. Tendenz steigend! (15) Ein überzeugendes, starkes und auch solidarisches Zeichen der Politik ist zunächst der zeitlich begrenzte Verzicht auf Parkgebühren, z.B. an Freitagen und Samstagen.“
[Ende der Begründung]
Mit einer Ja-Stimme und einer Enthaltung war dieser Antrag erwartungsgemäß abgelehnt. Somit stellt sich der Cloppenburger Rat gegen seine eigenen Bürger*innen. Eine Hilfe, eine solidarische seitens der Politik? Nein. Stattdessen demonstratives Schweigen. Eine fatale Demonstration dahingehend, dass sich der Bürger den Parteipolitikern, die sich ihm selbst zu Wahl stellen mussten, unterzuordnen und nichts mehr zu melden hat. Ein Indiz für das zerfallende Parteiensystem selbst. (16)
Wenn eine Stadt wirtschaftlich orientiert ist und daher Parkgebühren kassiert, so ist das zunächst in Ordnung. Wenn aber die sozialen Komponenten der angeblich sozial orientierten Parteien, wie z.B. der SPD oder des Zentrums, vollkommen ignoriert werden, so ist etwas grundlegend faul im Rahmen dieser politischen Orientierung. Was fehlt, ist eine identitätsstiftende Politik, die weder die Mitte noch das linke oder rechte Spektrum bedient. Stattdessen lautstark angepriesen der identitätsfreie Politbrei der Mitte, der mit Kampfbegriffen irgendwelcher Art schmackhaft gemacht werden soll. Verkauft als Alleinstellungsmerkmal von Andersdenkenden, die gegenüber der Politik nichts mehr zu melden haben. Oft auch von Verlierern, die keine Chancen zum Wiederaufstieg bekommen sollen. Kein Wunder, dass sich die Menschen zunehmend angewidert zeigen und von der repräsentativen Demokratie die Nase gestrichen voll haben.
Und weil man in der Manier des Schubladendenkens grundlegende Zusammenhänge vollkommen ausblendet, sie für ungültig erklärt und sie damit auch nicht begründen kann, bleibt einzig und allein die Stille der Gegenrede. Sie entfällt. Folglich sind keine anderen Meinungen von Wert, um überhaupt gehört zu werden. Sieht so Meinungsdiktatur aus? Wenn ja, sind Ideologien Tor und Tür geöffnet. Wolke 7 wächst zur „Cumulonimbus“, dessen Gewitter sich unerwartet heftig entladen könnte.
|