Unabhängig davon, welche finanziellen und ökologischen Vor- und Nachteile mit dem Standard KfW-40verbunden sind, sollte der Blick auf den größeren Zusammenhang nicht fehlen. Dann nämlich kann die Ausgewogenheit des nunmehr gefassten Ratsbeschlusses beleuchtet werden.
Zunächst ist festzustellen, dass neben dem LKW-Verkehr, vor allem im Transitbereich, dem maritimen Frachtverkehr inkl. Kreuzfahrten und der Landwirtschaft (15) insgesamt die Bauwirtschaft mit einer der größten Emittenten von Schadstoffen ist. (16) So ist z.B. die Herstellung von Zement, Mauerwerk oder Dachziegel mit einem erschreckend hohen Energieaufwand verbunden. In diesem Zusammenhang sollte es als widersinnig gelten, auf der einen Seite die höchsten umweltbelastenden Industrien zu subventionieren und auf der anderen Seite viel Geld für den Umweltschutz auszugeben, wobei die Masse der „kleinen Leute“ unverhältnismäßig oft zur Kasse gebeten wird. Sei es durch höhere Gebühren, durch Mehrkosten aufgrund restriktiver ökologischer Verordnungen oder durch steigende Energiekosten. Zuletzt richtig zur Kasse gebeten durch die Mehrwertsteuer in Höhe von 19 Prozent und summa summarum durch die allgemeine Abgabenquote von 53 Prozent.Im Zusammenhang mit der Eigenheimfinanzierung darf besonders das fiskalische Umfeld nicht unter den Tisch fallen, mit dem es die Menschen in der gegenwärtigen Zeit zu tun haben. Galten Geldvermögen vor wenigen Jahren noch als lukrative Einkommensquelle für Sparer, so ist dieser Vorteil heute dahin. (17) Die immer noch vorherrschende lockere Geldpolitik der EZB, aber auch der FED, führt zu einer Geldschwemme mit ungeahnten Ausmaßen. Das Geld, sei es für Zuschüsse oder Darlehen, wird ausschließlich gedruckt und ist seit dem Abkommen in Bretton Woods ohne reale Deckung. (18) Die aktuelle Diskussion über die gemeinschaftlichen Schulden in der Corona-Krise in Höhe von 750 Milliarden Euro erweist sich als düsterer Vorbote dafür, dass es mit dem Euro nur noch weiter abwärts gehen kann. (19)
Seit der Geldschwemme in der EU sind die Kreditzinsen sehr stark gesunken. Sie liegen bei verschiedenen Anbietern weit unter 0,75 Prozent, wenn es sich um nicht mehr als 15-jährige Laufzeiten handelt. Insofern sind die Zinsbedingungen der KfW-Bank für sich allein nicht unbedingt wettbewerbsfähig. (20) Aber Vorsicht: Bei der Baufinanzierung sollte stets mit dem effektiven Zins gerechnet werden, der aufgrund der Zinskosten auch den Zinseszins berücksichtigt. Schon bei der Nennung der Zinshöhe (0,75 Prozent) bleibt Herr Jäger in seiner Widerrede äußerst schwammig. Es sollte seinem Publikum nicht vorenthalten, dass der effektive Zinssatz höher ausfällt und andere Banken vorteilhaftere Zinsangebote für Kredite ausschreiben.
Auch in Cloppenburg sind Baugrundstücke von der Stadt selbst nicht mehr unter 100.000 Euro zu bekommen. Allein der Hausbau wird i.d.R. mit 300.000 Euro zu veranschlagen sein. Hinzu kommen Baunebenkosten der verschiedensten Art. Somit kann einem Investitionsvolumen zwischen 400.000 Euro und 500.000 Euro ausgegangen werden. Ein Darlehen von 100.000 Euro ist bei einer Gesamtinvestition von bis zu 500.000 Euro ein Witz. Letzteren aber konnte Herr Jäger in der Sitzung des Cloppenburger Rates erfolgreich verkaufen. Dass 100.000 Euro für Bauwillige ohne Eigenkapital und ohne Erbe oder Schenkung in der heutigen Zeit nicht ausreichen, liegt auf der Hand.
Mit dem Ratsbeschluss, den Standard KfW 40 verbindlich zu machen, bleiben nun immer mehr bauwillige Familien nun außen vor. Durch massive Verteuerung der privaten KfW40-Bauvorhaben sind viel Interessenten nicht mehr „wettbewerbsfähig“. Die Einschränkung der Wettbewerbsfähigkeit begann bereits im Jahr 2004. Zu dieser wurde die Eigenheimzulage u.a. von den Grünen im Zusammenhang mit Agenda-2010-Reform abgeschafft. (21) Federführend die damalig rot-grüne Bundesregierung, unter deren Regie, neben Einschränkungen bei der Rentenzahlung, bei den Sozialleistungen und dem Bau von Sozialwohnungen, der größte Niedriglohnsektor Europas geschaffen wurde. In diesem Rahmen müssten die strukturellen Verteuerungen des KfW-40- Standards unter Berücksichtigung der Realwerte inklusiv derer Kaufkraft betrachtet werden.
Wie es aktuell finanziell mit vielen dieser oft sehr jungen Familien in der „Neuen Normalität“ („Neue Normalität“ gilt als abgedroschener Begriff, der immer wieder neu aufgelegt wird. (22) nach der „Agenda 2010“ steht, sei im Folgenden illustriert:
Im Jahr 2019 betrug der Netto-Arbeitslohn je ledigem Arbeitnehmer ohne Kinder (Steuerklasse I/0) durchschnittlich 23.663 Euro (Schätzung). Das macht einen Betrag von 1.972 Euro pro Monat. Auf Niedersachsen bezogen ergibt sich ein Jahresdurchschnitt von 20.169 Euro. Das ist ein Betrag von 1.681 Euro pro Monat. (23) Das Lohnniveau in Niedersachsen beträgt 91,8 Prozent, also gute 8 Prozent unter dem Lohnniveau (100 Prozent) von Deutschland insgesamt. (24) Weiter geht es mit der Betrachtung des Vermögens einer Person in Deutschland. Es beträgt im Mittel 35.313 US-Dollar (ca. 32.000 Euro). Das ist mit eines der geringsten Prokopfvermögen in Europa. (25) Die durchschnittliche Verschuldung liegt bei 28.244 Euro. (26) Es dürfte klar sein, dass diese Verschuldung besonders einkommensschwache Personenkriese betrifft.
Die Corona-Krise hat diese Situation, besonders im Rahmen der Agenda 2010, noch weiter verschärft. Lohneinbußen durch unerwartete Kurzarbeit oder gar Arbeitslosigkeit werfen viele Bauwillige aus dem Rennen. Sie zumindest können froh sein, dass sie als mögliche Schuldner noch nicht in der Rückzahlungspflicht sind, die ihnen wirtschaftlich Kopf und Kragen und schließlich ihr neues Eigenheim kosten könnte. Im Ãœbrigen sind die „kleinen Leute“ nicht die Lufthansa (27), bei denen ein Totalausfall durch eine Einmalhilfe in Höhe von mehreren Milliarden Euro und fragwürdigen Konditionen vermieden werden soll.
In der heutigen Zeit der Niedriglöhne, der krassen Nullzinspolitik, der fehlenden Sozialwohnungen und der horrenden Mietsteigerungen ist es den meisten Familien kaum möglich, einen angemessenen Betrag zu sparen, der gemeinhin als Eigenkapital für den Kauf oder den Bau einer Eigenheimimmobilie einzusetzen wäre.
Dass immer mehr Kreditfinanzierungen ohne das eigentlich sinnvolle Eigenkapital erfolgen, dürfte auf der Hand liegen. Das ist bei dem Kauf von Neuwagen und dem Erwerb vielen anderen Dingen so. So auch bei der Baufinanzierung! In bauwilligen jungen Familien zählen die Doppelverdiener, wobei ein Gehalt –wenn auch knapp bemessen- für die Tilgung des Darlehns herhalten muss. Ohne Eigenkapital sind 30-jahre Tilgungszeit nicht unrealistisch, wenn die Zinssätze nachhaltig Bestand haben sollen und die Kreditverbindlichkeiten unverkäuflich beim selben Bankhaus bleiben sollen. (28)
Bevor es zu Vergünstigungen durch Tilgungszuschüsse kommt, sind Mehrkosten für den KfW-40-Standard vorprogrammiert. Vergünstigungen kommen erst nach Jahren zu Geltung, z.B. durch eine moderate Verkürzung der Tilgungszeit. Wer aber zwei oder fast drei Jahrzehnte seinem Kredit dient, muss wissen, dass es eine Inflationsrate gibt, die den geltend gemachten Vorteil stark reduzieren oder sogar auffressen könnte. Denn Nominalgeldwerte sind letztendlich keine Realgeldwerte Das alles erzählen die Kreditgeber nicht, denn sie arbeiten stets gewinnorientiert. Nicht anders bei dem stark in der Kritik stehenden Zuschussgeber „Kreditanstalt für Wiederaufbau“. (29), deren Rechtsaufsicht das Bundesministerium für Finanzen innehat. Banken arbeiten nach streng wirtschaftlichen Maßstäben, also gewinnorientiert, nunmehr mittelbar unterstützt von allen Fraktionen im Cloppenburger Rat.
Resümee
Der Rat der Stadt Cloppenurg hat den Standard KfW 40 verbindlich beschlossen. Während der vorangegangenen politischen Debatte, z.T. unter Ausschluss der Öffentlichkeit, fast vollständig „unterbelichtet“ blieb, dass KfW-Zuschüsse und -Kredite nur begrenzt möglich sind, so dass andere Geldgeber, mit heute konkurrenzfähigen Angeboten, unverzichtbar bleiben. Angebote, die Unwägbarkeiten variabler Zinsbindungen ausweisen und damit stark risikobehaftet sind, da auch der Bankensektor die Gewinnmaximierung niemals aus den Augen verliert.
In der Nachbetrachtung erweist sich der neuerliche Ratsbeschluss als äußerst befremdlich. Er ist zunächst verwaltungstechnisch nicht zu beanstanden, aber demokratisch höchst fragwürdig zustande gekommen, so dass Fachjuristen ihn noch zerpflücken könnten.
Beschlossen wurde der Cloppenburger Standard KfW 40 in einer Republik, in der die Reallöhne 20 Prozent unter dem Niveau der Wirtschafsleistung hinterherhinken. Beschlossen im Rahmen von Altersarmut und prekärer Beschäftigung, die im Oldenburger Münsterland gehäuft zu finden ist. Beschlossen in der Corona-Krise, in sich die Lage viel Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer drastisch verschärft hat. Beschlossen in einer besonderen Situation, in der die Fachausschüsse faktisch ausgeschaltet waren und keine fachlich relevante Meinung zum Ausdruck gebracht werden konnten.
In abgeschotteter Manier haben allein die Fraktionsvorsitzenden untereinander entschieden und ihre Fraktionen im einseitig dosierten Nachschlag darüber unterrichtet. Zu spät für den Rückwärtsgang. Er konnte und durfte nicht mehr eingelegt werden. Blockiert der demokratische Meinungsbildungsprozess. Sowohl nach innen, in der Politik, als auch nach außen, in der Öffentlichkeit. Nichts, aber auch gar nichts davon wurde von der Lokalpresse wirklich kritisch betrachtet, geschweige denn gerügt.
Dass die Gesamtheit der Fraktionen, d.h. die absolute Mehrheit des Cloppenburger Rates, einer verworrenen Finanzierungslogik bedingungslos und unkritisch folgte, ist unglaublich. Wundersam die zustimmenden Anteilnahme der CDU-Glyphosat-Befürworter-Fraktion, die seit dem Jahr 2013 Ratsbeschlüsse zur Klimaverbesserung in Cloppenburg ausgesessen hat. Zustimmung der Sozialdemokraten? Ja natürlich: Die Verbeugung konnte nicht tiefer sein! Nicht aus Qualifikation, Relevanz oder gar sozialdemokratischer Ausrichtung. Vielmehr aufgedreht spekulierend auf mediale Zuwendung durch ewige Wiederholungen des Bekenntnisses zur grünorientierten, wirtschaftlich sozialen, aber totalitären Marktwirtschaft. Unter Androhungen, diejenigen Bauherren hart bestrafen zu wollen, die trotz angespannten Budgets ihren KfW-40-Verpflichtungen letztendlich nicht nachkommen können. Mit unter den Keulenschwingern UWG und sozialliberale Fraktion. Bedauern um all die Fraktionsmitglieder, die keine Meinung zum Thema äußerten und dennoch im Rahmen des Fraktionszwangs ihre Zustimmung gaben. Ein politisches Armutszeugnis zum Nachteil vieler junger Familien, deren größter Wunsch es ist, ein Eigenheim zu besitzen.
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Quellen
(1) https://cloppenburg.de/familie-soziales/familiengerechte-kommune.php
(2) MT, Kreke, Stadtrat setzt Klimaschutz am Bau in die Tat um, Headline, 26.05.2020.
(3) NWZ, Mensing, Klimaschutz am Bau nun Pflicht, Headline, 27.05.2020.
(4) MT, Kreke, a.a.O., Artikel, 26.05.2020.
(5) https://www.drklein.de/kfw-effizienzhaus-40.html
(6) NWZ, a.a.O., Artikel, 27.05.2020.
(7) https://www.nwzonline.de/cloppenburg/wirtschaft/cloppenburg-stadtrat-beschliesst-massnahmenpaket-klimaschutz-am-bau-ist-in-cloppenburg-nun-pflicht_a_50,8,1596710781.html
(8) MT, Kreke, „Daumenwerte“ aus dem Rat sind zu grob, Auszug, 02.06.2020.
(9) MT, Kreke, Politik beendet Corona-Starre am 25. Mai, 06.05.2020.
(10) MT, a.a.O., 02.06.2020.
(11) ibidem
(12) MT, Kreke, Michael Jäger: Mehrkosten liegen höher als 1,5 Prozent, 03.06.2020.
(13) MT, Kreke, Klima: Stadt bessert unerreichte Ziele nach, 13.03.2020.
(14) MT, a.a.O., 03.06.2020.
(15) https://www.umweltbundesamt.de/themen/luft/emissionen-von-luftschadstoffen/quellen-der-luftschadstoffe
(16) https://tu-dresden.de/ing/maschinenwesen/imd/bm/forschung/forschungsschwerpunkte/antriebe-und-komponenten/feinstaub
(17) https://www.zdf.de/dokumentation/zdfzoom/zdfzoom-sparen-ade---wer-zahlt-den-preis-fuer-den-niedrigzins-100.html
(18) https://oxiblog.de/1973-markierte-den-zusammenbruch-des-systems-von-bretton-woods-und-den-beginn-des-grossen-neoliberalen-umbruchs/
(19) https://www.vorwaerts.de/artikel/corona-rettungsschirm-eu-klein
(20) https://www.aktuelle-bauzinsen.info
(21) https://www.welt.de/politik/article327692/Abschaffung-der-Eigenheimzulage-beschlossen.html#:~:text=Das%20Kabinett%20beschloss%20am,Hans%20Eichel%20(SPD)%20erklärte.
(22) https://www.epochtimes.de/politik/welt/george-soros-leaks-fluechtlingskrise-ist-europas-neue-normalitaet-asylkrise-bietet-soros-stiftung-neue-moeglichkeiten-a1923077.html
(23) https://de.statista.com/statistik/daten/studie/164047/umfrage/jahresarbeitslohn-in-deutschland-seit-1960/
(24) https://www.gehalt.de/news/gehaltsatlas-2019
(25) https://de.wikipedia.org/wiki/Liste_der_Länder_nach_Vermögen_pro_Kopf
(26) https://www.destatis.de/DE/Themen/Gesellschaft-Umwelt/Einkommen-Konsum-Lebensbedingungen/Vermoegen-Schulden/_inhalt.html
(27) https://www.manager-magazin.de/unternehmen/artikel/glosse-was-die-lufthansa-wirklich-mit-den-milliarden-vom-staat-plant-a-1306832.html
(28) https://www.baufoerderer.de/finanzieren-foerdermittel/grundlagenwissen/bank-verkauft-ihren-baukredit-wichtig-anschlussfinanzierung-pruefen
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