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Die Lage in Griechenland 2012

Eine Einschätzung

In Cloppenburg angekommen können wir zurückblicken in die Ferne nach Griechenland. Und weil wir uns kurz zuvor einige Wochen in Griechenland aufgehalten haben, wird unser Blick in die Ferne kein abstrakter sein. Wir haben Griechenland im Sommer 2012 konkret erlebt und wir wissen genau, worüber wir reden.

Es wird immer schlimmer

Die Nachrichten über Griechenland sind in den deutschen Medien zwischendurch abgeebbt, obwohl Vieles mehr aus Griechenland zu berichten gäbe. Mittlerweile hat der griechische Ministerpräsident Antonis Samaras Deutschland besucht und seinen Standpunkte der deutschen Bundeskanzlerin Merkel dargelegt. Wunsch Griechenlands ist es, die Schulden über einen längeren Zeitraum zurückzahlen zu dürfen. Eine verlängerte Zeit zum Begleichen der griechischen Schulden aber lehnte die Bundeskanzlerin Merkel bis heute ab. Das Schuldenproblem ist also nicht entspannt; die Daumenschrauben der Troika sollen in Griechenland weiter angezogen bleiben. Das betrifft auch andere Länder in Europa, wie z. b. Portugal .

Inzwischen wird mehr und mehr klar, dass die Haushaltszahlen in Griechenland weit schlimmer aussehen, als zuvor bekannt. Das Haushaltsloch soll nun doppelt so groß sein .

Doch ein Weiter-So mit der Austeritätspolitik der Euroländer, nun über mehrere Jahre hinweg, darf es unserer Meinung nach nicht geben. Ein Kurswechsel ist offiziell nicht in Sicht. Zudem sollte nicht vergessen werden, dass es die griechische Bevölkerung doch noch härter treffen könnte.

Unsere Meinung dazu: Das wird nicht gut enden.

In Griechenland hat es in der Vergangenheit viele öffentliche Proteste gegen die Sparmaßnahmen –Kürzungen von öffentlichen Geldern, von Gehältern und Renten-, die hart ausgetragen wurden. Nach den Wahlen im Juni 2012 haben die Menschen zunächst resigniert. Es scheint, als könne man doch nicht gegen die „korrupte“ Regierung in Griechenland wehren. Inzwischen scheint der Tiefpunkt überwunden. Die Menschen gehen wieder auf die Straße und demonstrieren .

Protest und Zorn

Der Zorn der Griechen richtet sich also auf die eigene Regierung und nicht in erster Linie auf die Banken, die Schulden einfordern. Schon gar nicht richtet sich der Zorn gegen die Deutschen und erst recht nicht gegen die deutschen Touristen im eigenen Land. Was haben die Medien in der Vergangenheit für falsche Eindrücke erweckt? Viele Deutsche sind in diesem Sommer 2012 nicht nach Griechenland gefahren. Aufgrund einseitiger Pressemitteilungen in deutschen Medien mussten sie Angst haben, dorthin zu reisen. Der Schaden für die griechische Tourismusbranche scheint enorm zu sein. Seit Jahresbeginn sind die Tourismuseinnahmen um 7% zurückgegangen. So hat die griechische Wirtschaft einen weiteren Dämpfer erhalten. Griechenlands BIP ist Mitte September um ein Viertel  geschrumpft. Die wirtschaftliche Abwärtsspirale ist nicht gestoppt, sondern beschleunigt sich zusehends. Wenn nun Bundeskanzlerin Merker für den kommenden Dienstag (9.Oktober 2012) einen Freundschaftsbesuch in Griechenland angekündigt hat, um sich über die wirkliche Lage vor zu informieren, so ist das mehr als lächerlich. Was die Austeritätspolitik für Folgen hat, hätte man sich so lange zuvor auch ohne Besuch ausmalen können. Es wird mit einem Knüppelharten Empfang für Frau Merkel in Athen zu rechnen sein. Das aber werden wohl ausschließlich die vielen Demonstranten zu spüren bekommen.

Doch auch wenn die Proteste auf der Straße zunächst nicht mehr in dem Maße stattfanden, wie vor den Wahlen im Juni 2012, sind sie dennoch nicht beendet. Man wehrt sich weiter. Ist das die relative Ruhe vor dem Sturm? Der kommende Dienstag wird es zeigen, wenn sich Frau Merkel mit der griechischen Bevölkerung „aussöhnen“ möchte.

Wie wir bei unserem Besuch in Griechenland erfahren haben, ist die Bereitschaft zur Steuerzahlung weiter gesunken. Geschäfte werden vermehrt ohne Rechnung gemacht, wobei die offizielle Steuerlast der Kleinbetriebe geringer ausfällt, so hofft man. Doch viele Betriebe hat es inzwischen doch erwischt. Z.B. mussten viele Tavernen schließen, weil die Steuerforderungen sie zuletzt erdrückten.

Grexit

Auch in Griechenland diskutiert man den GREXIT, den Austritt Griechenlands aus der Eurozone, auch wenn es schmerzhaft sei. Einen Verbleib in der Eurozone halten viele Griechen für das größere Problem. Einheimische argumentieren, nur die Widereinführung der Drachme würde die Menschen zwingen, ihre eigene Verantwortung für die wirtschaftlichen Belange in Griechenland erkennen zu können. Mit einem Schlage wären viele Sorgen innenpolitisch gelöst. Die Drachme wäre eine Wechselkursanpassung bis zu 30% niedriger an den Euro angepasst. Somit wären die Löhne im Land wieder mit mehr Kaufkraft verbunden. Die Exportwirtschaft würde konkurrenzfähiger, da die Lohnstückkosten abgesenkt werden. Ausländische Touristen könnten wieder billigen Urlaub in Griechenland machen. „Billig“, im Sinne Geiz ist geil, ist für viele Urlauber das Markenzeichen überhaupt und sie würden vielleicht vermehrt einreisen.

Doch die Sache mit dem Euroaustritt hätte einen Haken, so kritische Stimmen in Griechenland. Die Waren, die jeden Tag importiert werden müssen, wären für die griechische Bevölkerung ungemein teurer. Das betrifft z.B. Autos, Elektronikartikel oder auch Baustoffe. Griechenland ist nun mal ein industrieschwaches Land, welches sich heute nur noch auf Landwirtschaft und Tourismus konzentrieren kann. Schwächen böten auch Anreize. So sei der Selbsterziehungsgedanke vielleicht zu verstehen. Aber eine Bevormundung durch Steuer- und Finanzexperten aus dem Ausland verbäte man sich, erklären viele Griechen mit Zorn. Ob der pathetische Hilferuf von Ministerpräsident Antonis Samaras in der griechischen Bevölkerung positive Resonanz findet, Griechenlands Zustand sei in der jetzigen Situation mit der desolaten Lage in der Weimarer Republik zu vergleichen, bleibt zu bezweifeln . Ein solcher Vergleich könnte den Zorn der Griechen auf die eigene Regierung noch weiter steigern.

Griechen untereinander sind sehr solidarisch. Die Familien halten fest zusammen. Umso mehr ist es verständlich, dass Politik nie angehalten wurde, die gesetzliche Sozialhilfe einzuführen wie wir sie in Deutschland kennen. Wer in Not ist, wird bei seiner Familie Zuflucht finden. Aber auch die Familien stoßen an ihre Grenzen. Wenn nichts mehr zu verteilen gibt, sind auch sie keine sicheren Anlaufpunkte für die in Not geratenen Menschen mehr. Die Gesellschaft zerfällt.

Da ist noch die griechische Jugend, deren Arbeitslosigkeit immer drastischer wird. Die junge Generation hatte dem System stets vertraut. Als Kinder sind sie zur Schule gegangen, haben sich Mühe gegeben, viel zu lernen. Als Jugendliche haben sie diesen Weg fortgesetzt, immer in der Hoffnung, ein gutes Ziel zu erreichen. Später als Studenten haben sie sich verschuldet, weil man ihnen lukrative Jobs in Aussicht stellte. Nun haben sie ihr Studium in Athen, Patras oder Thessaloniki abgeschlossen und stellen fest, dass sie vor dem Nichts stehen. Ihre Familie hatten sie stets finanziell unterstützt, teilweise mussten Kredite für das Studium aufgenommen werden. Und heute: Sie haben keinen Job, sie oder ihre Eltern aber hohe Schulden bei den Banken und können diese nicht zurückzahlen! Die Jugend wandert aus ; in Griechenland sehen viele keine Chance mehr für sich und ihresgleichen.

Zerfall des Staates

Die griechische Gesellschaft blutet aus und zerfällt weiter, wie einst die albanische, deren Jugend in Griechenland die Top-Jobs gesucht und gefunden hatte. Dasselbe passiert momentan in Spanien. Unverständlich erscheint die Tatsache, dass die politischen Kreise den Zustrom der Spanier nach Deutschland noch in höchsten Tönen loben. Man denkt hierbei nicht im Geringsten daran, dass auch diese Gesellschaften in ihren Fundamenten zerfallen.

Der Euro wurde einst eingeführt, um Europa zu einigen. Nun soll Europa geeinigt werden, um den Euro zu retten. Der Rettungsversuch beginnt nun deutlichere Züge anzunehmen. Griechenland solle solange Geld von den Banken bekommt, bis die Wirtschaft wieder am Laufen sei, so eine der neusten Visionen der heutigen Tage . Eine Haushaltskonsolidierung Griechenlands scheint nun nicht mehr oberste Forderung zu sein. Gefordert, besser gesponsert werden soll der Verbleib Griechenlands in der Eurozone, ohne dass für die Austeritätspolitik ein Ende in Sicht gestellt wird.

Dahinter steckt panische Angst. Man hat Furcht vor dem Dominoeffekt. Andere Staaten, wie Portugal oder Spanien, in denen die Massenproteste stetig heftiger werden, könnten nach einem GREXIT ebenso fallen. Dann nämlich wären die Banken kaputt, die den aufgezwungenen Cut nicht überstehen werden. Vielleicht aber springt der Steuerzahler wieder ein, wie so immer.

Nicht der Euro, nicht die Einheit Europas und schon gar nicht Griechenland sollen gerettet werden, meint die Überzahl der griechischen Bevölkerung. Es seien vielmehr die Banken, die sich nahe am Abgrund sähen. Die Befürchtungen der Griechen sind groß. Es herrscht pure Angst in Griechenland. Immer schneller setzt sich der spiralförmige Abstieg fort, immer mehr Geld muss bereitgestellt werden, immer hastiger kommen neue politische Entscheidungen zum Tragen, immer höhere Geldmengen werden ins Casino gepumpt, um Zocker abzuschrecken.

Alles erscheint wie der Süchtige, der immer mehr Stoff braucht, um sein „Lebensglück“ zu bewahren. Er denkt nicht daran, aufzuhören mit dem, was ihn zerstört. Er ist krank im fortgeschrittenen Stadium und keiner ist in Sicht, der dem Treiben Einhalt gebieten könnte. Europa wird genau gegen die Wand fahren, an der Griechenland, aber auch Portugal und Spanien, bereits entlang schrammen.

Verantwortung und Alternative

Schlüssel für die Fehlentwicklung ist die Politik. Sie hat sich dem Finanzkapitalismus hingegeben und kommt davon nicht mehr los. Politik hat die Büchse der Pandora geöffnet, als die Mastrichtkriterien außer Kraft gesetzt wurden. Es galt stets nach Amerikanischen Vorbild, dass jedes Land ohne jegliche finanzielle Hilfen der übrigen Euroländer auszukommen habe. Das ist nun Schnee von gestern. Es fließt immer mehr Geld nach Griechenland. Ein Ende ist nicht in Sicht. Nun sollen auch noch die Forderungen, die mit den Hilfszahlungen verbunden sind, gelockert werden. Die Wirtschaft von Griechenland sei es zuzugestehen, sich nun mehrere Jahre Zeit nehmen, um zu genesen, so die Vision aus SPD-Reihen. Falls eine solche Vision realisiert würde, hätte man eine zweite Büchse der Pandora geöffnet: Es bestünde ab sofort kein Anreiz mehr für finanziell in Not geratene Eurostaaten, Sparmaßnahmen umzusetzen.

In Deutschland finden 2014 die Bundestagswahlen statt. Es böte sich eine Alternative zur bisherigen Merkel-Politik, da gerade sie Europa immer schneller auf die Wand zusteuert. Weise Stimmen warnen vor dieser Merkel-Politik , ohne aber eine Alternative deutlich beim Namen zu nennen.

Wie radikal der Wechsel sein muss, bleibt in solchen Reden stets im Verborgenen. Vielleicht ahnen die Meinungsmacher bereit die Härten, die die Menschen bei einem solchen Wechsel mindestens ertragen müssten. Wie es bei einer Sucht stets zu beobachten ist, so reagiert die Politik. Sie scheint es wohl vorzuziehen, möglichst viel beim Alten zu lassen, bis nichts mehr geht. Ein wirklicher Retter ist nicht in Sicht. Eine Sucht wird erfahrungsgemäß schlimmer enden als das Schlimme einer möglichen Alternative.

Noch ist es nicht zu spät

Was Griechenland betrifft, so wird es sich wohl selbst helfen müssen, auch wenn es sehr schwer fallen wird. Vielleicht spricht es sich im Land mehr und mehr herum und wird in Athen ankommen. Vielleicht sogar kann Griechenland ein Vorbild für viele andere Länder werden, wie es einst mit der Demokratie war, die nun mehr und mehr in Europa leidet, weil Banken das vorgeben, was eigentlich im Verantwortungsbereich der Politik liegt. Wir wissen nicht genau was kommen wird, wir können aber etwas tun, was wirklich Besserung verspricht.

 

Die Zeit ist knapp geworden, um den Patienten noch retten zu können.

Wenn Sie sich weiter über die aktuelle Lage in Griechenland informieren möchten, dann empfehle ich die Griechenland-Zeitung.