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Politik kann nicht überzeugen

Diätenerhöhung im Bundestag

Staatsrechtler Hans Herbert von Arnim reagiert empört

Bundespräsident zögert

 

HFB-14-07-05

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Wieder einmal sollen die Diäten der Bundestagsabgeordneten erhöht werden. Aktuell liegen die monatlichen Zuwendungen bei 8.252 Euro pro Abgeordneten. Am 1. Januar 2015 sollen sie auf 9.082 Euro steigen. Wenn es nach den Parlamentariern ginge, sollte das Thema Diätenerhöhung so rasch wie möglich aus der öffentlichen Diskussion verschwinden. Denn ab 2016 wäre eine automatische Anpassung vorgesehen, die sich entsprechend an der Lohn- und Gehaltsentwicklung orientiert. Die Absicht, die Diäten „automatisiert anzupassen“, ist auf derbe Kritik gestoßen. Bundespräsident Joachim Gauck tut sich offenbar schwer, den Gesetzentwurf zu unterschreiben.

 

 

Betrachtet man die Zusammenhänge um die Abgeordnetenbesoldung, so ist der gegenwärtige Sachstand wie folgt zu beschreiben. Ein Bundestagsabgeordneter erhält nach Art. 48, Abs. 3 des Grundgesetztes eine Abgeordnetenentschädigung (Diät) von z. Zt. 8.252 Euro, die steuerlich anzurechnen ist. Das aber ist noch nicht alles: Darüber hinaus werden jedem Abgeordneten eine steuerfreie Kostenpauschale in Höhe von 4.123 Euro zugebilligt. Hiermit sollen Ausgaben für die Einrichtung und Unterhaltung eines oder mehrerer Wahlkreisbüros, für Fahrten im Wahlkreis und für die Wahlkreisbetreuung finanziert werden. Aus der Kostenpauschale bestreitet der Abgeordnete auch die Ausgaben für die Zweitwohnung am Sitz des Parlaments. Über die Verwendung der Kostenpauschale muss keine Rechenschaft abgelegt werden. Verschiedene offizielle Kommissionen, wie z.B. die Kissel-Kommission, bezeichnen die steuerfreie Pauschale als zu hoch (vgl. v. Arnim, Die Partei, der Abgeordnete und das Geld. S. 277).

 Darüber hinaus können Bundestagsabgeordnete eigene Mitarbeiter am Regierungssitz in Berlin und im eigenen Wahlkreis einstellen, deren monatliche Gehälter bis zu einer Höhe von 15.023 Euro aus Steuergeldern finanziert werden.

Bis Ende der Sechzigerjahre gab es noch keine Mitarbeiter für die Abgeordneten. Offenbar ging es auch ohne! 1966 und zuletzt 1968 wurde die staatsfinanzierte Unterstützung der Parteien durch das Bundesverfassungsgericht begrenzt. Erst danach trat eine verbindliche Regelung für die Einstellung eigener Mitarbeiter von Bundestagsabgeordneten in Kraft. Für diesen Zweck wies der Bundeshaushalt im Jahr 1969 einen Haushaltsbetrag von 2 Millionen Euro (4 Mio. DM) aus. Bis zum Jahr 2007 ist Betrag auf 133,7 Millionen Euro gestiegen.

 Eine Rechenschaft über eine adäquate Bezahlung der steuerfinanzierten Angestellten, über die Beschäftigungsdauer oder die tatsächlichen Arbeitszeiten braucht nicht erfolgen.

Die Summierung aller Beträge auf derzeit 27.398 Euro auf einen Abgeordneten alleine wird einer kritische Bewertung nicht gerecht. Die verschiedenen Beträge dienen verschiedenen Zwecken. Nur über einen der Beträge muss Rechenschaft abgelegt werden. Das Betrifft den Höchstbetrag (15.023 Euro) für die eigenen Mitarbeiter.

Im Zusammenhang mit den beachtlichen Bezügen sollten die weiteren Vergünstigungen der Abgeordneten nicht vergessen werden: Hierzu zählt die Bahncard 100 für die erste Klasse, die nicht nur für dienstliche, sondern auch für private Zwecke genutzt werden kann! Zusätzliche Kosten für z.B. Schlafwagen oder auch Inlandsflüge werden auf Nachweis erstattet. Eine Einzahlung in die Arbeitslosen- und Rentenversicherung muss nicht erfolgen. Aus der Mandatstätigkeit erwachsen Pensionsansprüche, die mit denen von Beamten gleichzusetzen sind. Aber um ein vielfaches höher und schneller.

 

Sonderzulagen für Funktionsämter

Abgeordnete, die neben ihrem Fulltime-Mandat eine weitere Funktion –wie z.B. Fraktionsvorsitzender oder Parlamentspräsident- ausüben, werden zusätzlich alimentiert. Die Bundeskanzlerin, Angela Merkel (CDU), ist z. B. Mandatsträgerin und Regierungsmitglied zugleich. Sie kontrolliert die Regierung und ist als Abgeordnete der CDU Kontrollinstanz der Regierung zugleich! Sie erhält neben ihrer Vergütung und weiteren Sonderbezügen als Bundeskanzlerin auch noch das halbe Abgeordnetengehalt mit allen vorzüglichen Pensionsansprüchen.

 

Pensionsansprüche und Übergangsgelder

Es ist bemerkenswert, dass die Pensionsansprüche der Abgeordneten in einer viel kürzeren Zeit erworben werden, als allgemein üblich.  Die Steigerung der Pensionsansprüche beträgt nach Vorgabe durch §11, Abs. 1 demnach 2,5% pro Jahr. Der Mindestanspruch aber soll 1.682 Euro betragen! Nach dem Ausscheiden aus dem Bundestag sind üppige Übergangsgelder vorgesehen. Wer z.B. 18 Jahre Bundestagsmitglied war, bekommt 18 Monate nach seinem Ausscheiden 7.668 Euro pro Monat ausgezahlt. Zusammen sind das 138.024 Euro!

 

Diäten: Öffentlichkeit reagiert immer wieder mit derber Kritik

Bundestagsabgeordnete üben zweifelsohne einen Fulltime-Job aus. Somit haben sie einen Anspruch auf eine angemessene Bezahlung. Die Strukturierung dieser Bezahlungen und deren Anpassungsbestrebungen geraten aber zunehmend ins Kreuzfeuer der öffentlichen Kritik. Immer dann, wenn es um eine Erhöhung der Diäten oder sonstigen Bezüge der Abgeordneten – sei es in Bund oder Land- geht, schlagen die Emotionen hohe Wellen. Öffentliche Kritik wird begleitet von Expertenkritik und verschiedenen Verfassungsurteilen, die die Kritik staatsrechtlich untermauern. Die Urteile deuten also schon darauf hin, dass es bei den Bundestagsbeschlüssen zu den Diäten nicht immer mit rechten Dingen zugegangen sein könnte. Der Wortführer der Diätenkritik ist der Staatsrechtler Hans Herbert von Arnim. Drei seiner Bücher gelten als öffentliche Standardwerke des politischen Streits um die Diäten (Titel: Siehe unten).

Es gibt aber auch innerfraktionelle Kritiker, die gegen die jüngsten Pläne zur Diätenanpassung gestimmt haben. Aus der GroKO sind das: Ralf Kapschack (SPD) Ennepe-Ruhr-Kreis II, Kordula Kovac (CDU) Wolfach im Schwarzwald, Martin Patzelt (CDU) Frankfurt/Oder, Rene Röspel (SPD) Ennepe-Ruhr-Kreis I, Andreas Schwarz (SPD) Bamberg. Chapeau!

Arnims Veröffentlichungen sprechen eine deutliche Sprache. Im Folgenden seien einige der vielen (auch älteren) Kritiken aufgegriffen und illustriert. Mit dem vorliegenden Aufsatz soll der Appell an die Parlamentarier gerichtet sein, sich den kritischen Anmerkungen v. Arnims zu stellen, um die kontroverse Diskussion mit aller Sachlichkeit in der Öffentlichkeit fortzuführen. Es sollte endlich Schluss damit sein, dass die Kritiker der Diäten des öfteren beschimpft werden. Nur ein neuer Umgang miteinander würde den Bürgern helfen, das aktuelle Anliegen der Parlamentarier und ihrer Kritiker zu verstehen. Vielleicht ließe sich so eine gemeinsame Lösung für transparente Entschädigungen (Diäten) finden, die in der Öffentlichkeit auch akzeptiert würde.

 

Vergleich mit Bundesrichtern und Beamten

Die offizielle Zielmarke, die eine Expertenkommission ausgearbeitet hat, sind die Bezüge von Richtern. Das ist faktisch erreicht. (Zeit Online vom 11.01.2014). Die Idee dieses Vergleiches stammt aus dem Jahr 2007. Schon damals wurde darüber heftig gestritten. Aber die Bezahlung von Mandatsträgern ist schon im Allgemeinen nicht mit denen von Beamten zu vergleichen. Somit auch nicht die Pensionsansprüche der beiden Berufsgruppen. Schon gar nicht mit denen von Bundesrichtern. Es wird unterschlagen, dass Abgeordnete Privilegien besitzen, deren ökologischer Wert um ein vielfaches höher ist als der von Richtern (vgl. Hans Herbert von Arnim; Die Deutschlandakte; München 2008, S. 141). Richter z.B. beziehen keine steuerfreie Kostenpauschale, dürfen keinen weiteren Fulltime-Beruf ausüben oder müssen für ihre Rentenansprüche deutlich länger arbeiten. Pro Jahr erwirbt sich ein Abgeordneter 192 Euro der Altersversorgung. Der Durchschnittsbürger nur 25 Euro. Zudem wird der Anspruch im Bundestag seit 2007 schon nach einem Jahr erworben. Zuvor war es nach 8 Jahren (vgl. v. Arnim, S. 143).

 

Ausbildungsvoraussetzungen

Es dürfte allgemein bekannt sein, dass sich die Höhe von Löhnen und von Vergütungen nach dem jeweiligen Ausbildungsstand eines Arbeitnehmers richtet. Es ist also zuletzt die Qualität der Ausbildung, durch die sich Löhne und Vergütungen voneinander abgrenzen. Als Berufspolitiker ist keine Ausbildung, kein besonderer Hochschulabschluss oder ein adäquater Bildungsabschluss nötig. In dieser Hinsicht fallen die Diätenbeschlüsse für die „Fulltime“ -beschäftigten Abgeordneten völlig aus dem Rahmen. Bei den Diäten handelt sich nicht etwa um Aufwandsentschädigungen, wie sie z.B. Ratsmitglieder einer Kommune beanspruchen, die in der Regel außerhalb ihrer beruflichen Dienstzeiten verantwortungsvolle Politik betreiben. Die Diäten sind spezielle auf die Abgeordneten zugeschnittene Lohnsysteme, die nicht den üblichen Regeln auf dem Arbeitsmarkt entsprechen.

Bundestagsabgeordneten sollen gut verdienen, wenn sie sich vollzeitlich und kompetent um ihre Aufgaben kümmern. Die meisten von ihnen haben eine abgeschlossene Berufsausbildung. Aber nicht alle! Beispielhaft illustrieren lässt sich letzteres an einigen ehemaligen und noch aktiven Politgrößen: So können Karl-Theodor zu Guttenberg (ehem. Verteidigungsminister, CSU) nur sein erstes Staatsexamen (nicht ein Abschließendes zweites Staatsexamen), Joschka Fischer (ehem. Außenminister, B´90/ Grüne) möglicher Weise nur die Taxifahrerausbildung (eine abgeschlossene Schulausbildung ist nicht bekannt) oder auch Katrin Göring-Eckard (Fraktionschefin der Partei B´90/ Grüne) nur ein abgebrochenes Studium vorweisen. Der markanteste Fall aus der jüngeren Zeit ist wohl der, der ehemaligen Abgeordnete und Bundesministerin Annette Schavan: Nach dem Verlust ihres Doktortitels aufgrund einer nachgewiesenen Täuschung verfügt sie über keinen Studienabschluss und somit keine Berufsausbildung mehr. Sie ist nun Botschafterin im Vatikan! Besonders unter diesen genannten Umständen ist es also grotesk, wenn sich ein solcher Personenkreis mit Bundesrichtern mit dem Ziel vergleicht, möglichst hohe Verdienstmöglichkeiten durchzusetzen. Der Vergleich mit Bundesrichtern wäre nur den allerwenigsten Abgeordneten zuzugestehen. Alles andere dürfte als Anmaßung gelten.

Die Entschädigung für die Aufwendungen von Bundestagsabgeordneten wird in § 48 (3) des Grundgesetzes geregelt. Dort heißt es: „Die Abgeordneten haben Anspruch auf eine angemessene, ihre Unabhängigkeit sichernde Entschädigung. Sie haben das Recht der freien Benutzung aller staatlichen Verkehrsmittel. Das Nähere regelt ein Bundesgesetz“ (vgl. § 48,3 GG).

Somit dürfte eigentlich klar sein, dass sich Bundestagsabgeordnete mit keiner Berufsgruppe vergleichen können, aber es auch nicht müssten, wenn es um ihre Entschädigungsansprüche geht. Für saubere Argumente auf Basis des Grundgesetzes (Abs.3) aber scheint man bis heute nicht bereit zu sein. Es gilt immer noch der geringe Stellenwert des Sacharguments, der schließlich nicht überzeugt. Gibt es denn wirklich keine makellosen Argumente für die Höhe von Diäten und weitere Zulagen, die sich aus dem Selbstverständnis eines Bundestagsabgeordneten herleiten lassen? Hier sollte man in Berlin noch einmal scharf nachdenken!

 

Nebenverdienste

Dass hinter den üppigen Zuwendungen an die Bundestagsabgeordneten ein Fulltime-Job zu erwarten ist, halten die Bundesbürger für selbstverständlich. Dem ist aber nicht so, wenn man die vom Bundestagspräsidenten ausdrücklich (!) erlaubten Nebentätigkeiten einiger Abgeordneter genauer unter die Lupe nimmt. Es ist für viele Bürger nicht zu verstehen, dass z. B. der Abgeordnete Holzenkamp (CDU) im Jahr 2009 mindestens 213.000 Euro an Nebenverdiensten aufzuweisen hatte. Ganz und gar nicht kann man die Nebenverdienste des sozialdemokratischen Kanzlerkandidaten 2013, Peer Steinbrück, verstehen. Seine Mindesteinkünfte außerhalb der Bundestagsarbeit lagen im Jahr 2009 bei 698.945 Euro. Vermutlich waren seine Nebeneinkünfte weitaus höher. Schätzungen sprechen von 1,2 Millionen Euro (vgl. abgeordnetenwatch.de). Nebentätigkeiten brauchen Zeit. So musste sich Steinbrück auch nicht wundern, dass er von SPON als „Parlamentsschwänzer“ beschimpft wurde. Peer Steinbrück war in dieser Hinsicht bereits der falsche Kanzlerkandidat. Doch die SPD musste erst ihr zweitschlechtestes Wahlergebnis zur Bundestagswahl 2013 einfahren, um vielleicht immer noch nicht zu merken, dass belastete Personen wie Steinbrück nicht die nötigen Stimmen bringen. Anzumerken bleibt, dass die weitaus größere Zahl der Abgeordneten ganz ohne Nebentätigkeit auskommt. Für sie ist soeben angeführte Kritik somit nicht zutreffend.

 

Parteisteuer

Die Mandatsträger unterliegen zudem der Pflicht, der Partei, der sie angehören, eine sogenannte Parteisteuer abzutreten. In der SPD ist diese Parteisteuer als Mandatsabgabe bekannt. Sie beträgt 25% aller Bezüge des Mandatsträgers. Sowohl auf Bundes- Länder- und Kommunalebene. Sie kann monatlich mehr als 1.500 Euro pro Mandatsträger ausmachen. Da sich die Parteien auf diesem Weg zusätzlich über Gelder aus öffentlichen Kassen finanzieren, sind Parteisteuern nach Meinung von Experten verfassungswidrig. Ein Verwaltungsgerichtsurteil hierzu gibt es allerdings nicht. Doch wer nicht zahlt, wird beim nächsten Wahltermin nicht mehr aufgestellt. Ob damit der Unabhängigkeit –dem freien Gewissen- der Abgeordneten gedient ist, darf bezweifelt werden.

 

Entscheidung in eigener Sache

Bei der Kritik um die Abgeordnetendiäten geht es vor allem darum, dass ihre Höhe in eigener Sache festgelegt wird. M.a.W.: Die Abgeordneten in Bund (und Ländern) bestimmen selbst über die Höhe ihrer Bezüge! Das ist verfassungsrechtlich zu beanstanden, da eine solche Entscheidung eigentlich unbefangene Entscheidungsträger voraussetzt. “Es ist ein ehener Grundsatz des Rechts, dass keine Amtsperson in eigener Sache entscheiden darf. Richter, Beamte und Mitglieder eines Stadtrats, die ein eigenes Interesse an einer Entscheidung haben, sind von der Mitwirkung ausgeschlossen“ (vgl. v. Arnim, S. 37).

Über all diese eigenen Zuwendungen gaben Parteimitglieder der CDU, SPD und FDP beschlossen. In Anbetracht des Fraktionszwanges die Parteien also selber. Somit in eigener Sache mit mittelbaren und unmittelbaren finanziellen Vorteilen. Später auch von weiteren Parteien, außer der Linken! Eine transparente Kontrolle für die Art der Fremdtätigkeiten der Abgeordneten, für die Bezahlung oder für die Arbeitsbedingungen ihrer Mitarbeiter gibt es nicht. Kontrollmechanismen waren nie Gegenstand einer Beschlussfassung. Mit den Beschlüssen über Diäten, Kostenpauschen, Rentenansprüche und sonstige Vergünstigungen haben die Abgeordneten in erster Linie für sich und als Parteifunktionäre ihrer Parteien gehandelt und nicht als Volksvertreter für ihre Bürger!

„Daß eine Gruppe von Interessenten die ihnen gewährten staatliche Leistungen unmittelbar selbst und unkontrolliert von anderen Staatsorganen festsetzt, ist in unserer Rechtsordnung absolut einmalig“ (vgl. v. Arnim. Die Partei, der Abgeordnete und das Geld . München 1996, S. 198).

Entscheidungen in eigener Sache, so wie es bei allen Diätenerhöhungen stets der Fall war, erscheinen respektlos gegenüber den Bürgern. In Anbetracht der Diskussion über die Mindestlöhne und deren massiven Ausnahmen, über die prekären Beschäftigungsverhältnisse im allgemeinen und die seit vielen Jahren stagnierende Lohnentwicklung in Deutschland stößt der Gesetzentwurf zur Anpassung der Diäten auf völliges Unverständnis. Das sollten die Abgeordneten eigentlich zur Kenntnis nehmen.

Aber die Zeit, auf Einsicht zu hoffen, wäre vertan. Zu diesem Ergebnis kommen immer mehr Bürger. Inzwischen ist die starre Haltung der Politiker auf die Spitze getrieben, so dass sich die Bürger zunehmend von der Politik abwenden. Die Politikverdrossenheit wächst. Die Wahlbeteiligungen nehmen von Jahr zu Jahr ab!

 

Mitwirkungsverbot?

Verdeutlicht wird Arnims kritischer Hinweis auf die “Entscheidung in eigener Sache“ durch das Niedersächsische Kommunalverfassungsgesetz (NKomVG), § 41-Mitwirkungsverbot, welches zwar auf Kommunen bezogen bleibt, aber den Sachverhalt anschaulich werden lässt: „ Ehrenamtlich Tätige dürfen in Angelegenheiten … nicht beratend oder entscheidend mitwirken, wenn die Entscheidung einen unmittelbaren Vorteil oder Nachteil … bringen kann“(vgl. § 41 NKomVG). Die zitierte Aussage verdeutlicht immerhin die allgemeine Norm eines Mitwirkungsverbots, welches die Unmittelbarkeit in den Vordergrund stellt. Unmittelbar bevorteilt ist demnach jeder, der durch seine Mitwirkung die Höhe seines Gehalts mitbestimmen kann. Der Bundestag hatte die vom Geschäftsordnungsausschuss empfohlene Erhöhung der Abgeordnetenentschädigung am 21. Februar 2014 mit klarer Mehrheit der „unmittelbar Bevorteilten“ gebilligt. 

Abgesehen von möglichen guten Gründen für die Erhöhung ruft diese Art der Mitwirkung nur noch Kopfschütteln bei den politikverdrossenen Bürgern hervor, wobei das demokratische Selbstverständnis zunehmend angezweifelt wird. Das öffentliche Meinungsbild sieht in der Bundestagsentscheidung eine Selbstbedienungsmentalität bestätigt, die kein Verständnis mehr verdient. Verständnis auch deswegen nicht, weil ein Mandat keine bestimmte Berufsausbildung voraussetzt. Bereits vor dreißig Jahren ist die Einrichtung einer „Deutschen politischen Akademie“ vom Politikwissenschaftler, Eugen Kogon, vorgeschlagen worden. Doch die Ablehnung des vermittelnden Vorschlags durch die Politik scheint –nach Meinung von v. Arnim- den Grund zu haben, dass Politik in erster Linie nicht an der sachlichen Richtigkeit von Problemlösungen interessiert sei (vgl. v. Arnim, Die Deutschlandakte, S. 171)!

Beschlüsse in eigener Sache, so wie es bei den Diätenerhöhungen der Fall ist, sind respektlos gegenüber den Bürgern. Aber die Zeit, auf Einsicht zu hoffen, wäre vertan. Zu diesem Ergebnis kommen immer mehr Bürger. Inzwischen ist die starre Haltung der Politiker auf die Spitze getrieben, so dass sich die Bürger zunehmend von der Politik abwenden.

 

Indemnität bietet nicht immer Schutz

Mandatsträger besitzen den Anspruch auf Indemnität. Dieser Anspruch gewährleistet ihnen z.B., nicht jedes Wort auf die Goldwaage legen zu müssen. So kann in der Politik in extrem weiten Grenzen geschimpft, gelogen oder beleidigt werden. Mit Ausnahme der verleumderischen Beleidigung. Auch nach einem Mandatsverlust wäre deswegen kein Strafverfahren gegen eine Person möglich. Somit geht die Indemnität über die Immunität hinaus. Dem Normalbürger sind Beleidigungen verboten. Er müsste mit einer Strafanzeige rechen. Evtl. sogar mit einer Verurteilung.

 

Heftigste Attacken nach Kritik

Und dass der Anspruch auf Indemnität ausgenutzt wird, liest, sieht und hört man jeden Tag in der Presse. Inzwischen scheint das das der populistische Alltag des Politikgeschehens zu sein. Die Politiker aber merken nicht, dass die Bürger diese Art der politischen Bühnendarstellung satt haben. Sie merken nicht, dass eine Lösung nur zusammen mit kritischen Experten möglich wäre. Dennoch verharren einige Unbelehrbare in ihrer Haltung, stellen –unterstützt von einer oft unkritischen Presse- zweifelhafte Behauptungen auf und meinen, damit in der Öffentlichkeit besonders gut anzukommen. Die Unbelehrbaren stoßen allerdings häufig auf rechtliche Grenzbereiche, die durch ein allzu eitles Selbstbewusstsein überschritten werden können. Im Streit um die Diäten war das nicht anders.

Der bekannte Verfassungsrechtler Hans Herbert von Arnim ist ein hartnäckiger Kritiker in der Diätendebatte. So bezeichneten der damalige Fraktionsvorsitzende der Sozialistischen Fraktion des Europarlaments, Martin Schulz, und der der rechtspolitische Sprecher der Europäischen Volkspartei, Klaus-Heiner Lehne, die doch eigentlich fachlich begründete Kritik an den Diäten der Europaabgeordneten als „frei erfundene Lügenmärchen“, die einer „beispiellosen“ Hetzkampagne zur Diffamierung des Europäischen Abgeordnetenstatus führten. Vor dem Landgericht Hamburg schließlich wurde eine einstweilige Verfügung des Autors durchgesetzt. Seine öffentlich genannten Argumente und mit Zahlen belegten Darstellungen hatten gerichtlichen Bestand. Die Berufung auf Indemnität blieb erfolglos. Ob die gestraften Politiker nun gemerkt haben, wie weit sie sich von der sachlichen Richtigkeit der Problemlösung und damit vom Rechtsgefühl vieler Bürger entfernt haben, darf bezweifelt werden.

 

Problemlösungen möglich, aber in weiter Ferne

Zunächst darf festgehalten werden, dass ohne öffentlichen Druck nichts läuft. Somit sei die Öffentlichkeit aufgefordert, nach möglichen Lösungen zu suchen. Durch kritische Begleitung der Diätendebatten würden auch Behörden aufmerksam. Zum Schluss müssen aber immer wieder die Verfassungsgerichte eingeschaltet werden, die Gutachten einholen (vgl. v. Arnim, Macht macht erfinderisch, 1988). So weist das Bundesverfassungsgerichtsurteil von 1975 darauf hin, dass Vertrauen ohne Transparenz, die erlaubt zu verfolgen, was politisch geschieht, nicht möglich ist (BVerfGE 40 40, 296). Doch scheint es den Parlamenten aktuell weiterhin an Einsicht zu fehlen, der Öffentlichkeit überzeugende Argumente für die Höhe ihrer Entschädigungen vorzulegen. Einer Vorbildfunktion dient das nicht.

Eine Vorkehrung zur Sicherung der Öffentlichkeit ist noch lange nicht in Sicht. Dann nämlich wären Meinungsbildungsprozesse der Politik zu verfolgen, begleitend zu diskutieren oder zu kritisieren. Doch oft ist die Debatte kurz, weil die Papiere vorgefertigt auf die Schreibtische der Abgeordneten kommen, die dann in kürzester Zeit, oft auch zu später Nachtstunde, die umstrittenen Gesetzentwürfe im Rahmen des Fraktionszwangs und in kleinster Besetzung des Plenums verabschieden dürfen. Es müssten also Vorkehrungen gegen „Blitzgesetze“ getroffen werden. Dann sollten endlich Vorkehrungen getroffen werden, dass die Geschäftsordnung bei Gesetzgebungsverfahren strengstens eingehalten wird. Aber wo kein Kläger, da auch kein Richter. Ein Beschluss kann zudem die Geschäftsordnung zur Sache außer Kraft setzen oder kurzfristig ändern.

Nein, die Kontrolle in Diätendebatten ist nur gesichert, wenn eine unabhängige Kommission eingesetzt würde, deren Entscheidungskompetenz ausnahmsweise über die des Bundestages hausginge. Das aber wäre nur mit einer Verfassungsänderung möglich. Doch eine solche Kommission hat Deutschland bitter nötig. Gesetzgebungsfragen, Personalstrukturen oder Kompetenzbereiche müssten natürlich abzustimmen sein. Hier wiederum tut sich ein riesiges Problemfeld auf. Ansonsten wäre eine solche Kommission, die über die Diäten der Bundestagsabgeordneten befindet, bereits seit geraumer Zeit ins Leben gerufen worden. Scheinbar ist eine solche Machtreduktion durch die Bundestagsabgeordneten nicht gewollt. Dann aber sollten sie aber weiterhin mit geballter Kritik rechnen und endlich damit aufhören, Fachkritiker wie z.B. den Staatsrechtler Hans Herbert von Arnim zu beschimpfen, zu diffamieren oder als inkompetent zu bezeichnen.

Solange z.B. Drehtüreffekte (vgl. Ex-Entwicklungsminister und Mitglied der Bundessicherheitsrates, Dirk Niebel, der nun von Rheinmetall bezahlt wird) oder Versorgungsposten (vgl. Ex-Ministerpräsident von Baden Württemberg, Günther Oettinger, der nun [postmandatlich] als hochdotierter Energiekommissar über europäische Grenzwerte wacht) politischer Alltag bleiben, solange ist eine Kontrolllösung über die Beschlüsse der umstrittenen Diätenerhöhungen in weiter Ferne. Menschen, die aufgrund der aktuellen marktpolitischen Verhältnisse durch ihre erzwungene Totalhingabe der Hektik der Zeit unterliegen oder im z.T. prekären Arbeitsmarkt versklavt sind oder nur mit minimalen, inflationsausgleichenden Rentensteigerungen rechnen können, können nicht einfach aus ihrem Alltag entfliehen, um über die vielschichtigen politischen Abstrusitäten auch noch zu befinden. Das System schafft zwar eine kritische (Bildungs-) Gesellschaft, die aber mehrheitlich nicht mehr zu protestieren in der Lage ist, weil sie hierzu keine Zeit mehr oder bereits resigniert hat. Es entwickelt sich eine scheinstabiler Zustand, der sich eines Tages explosionsartig –und das ohne Vorankündigung- verändern könnte. Dass es solche potenziellen Massen gibt, zeigen aktuell die z. T. unkontrollierbaren Menschenansammlungen nach jeder siegreichen Fußballpartie der Deutschen Nationalmannschaft in den Straßen der Deutschen Großstädte.

 

Öffentliches Ansehen schwindet

Politiker gelten heute in den Augen viele Menschen nicht mehr als Vorbilder. Die kontroverse Diskussion um die Diäten zeigt wiederum sehr deutlich, dass Politik zunehmend an Vertrauen verliert. Es besteht der Verdacht der eigenmächtigen Bereicherung. Und das zu einer Zeit, in der heftig um Mindestlöhne gestritten wird. Argumente, dass Einkommensunterschiede demokratischen Strukturen genügen, kommen nicht mehr an. Von den Politikern wird Vorbildfunktion verlangt. Doch die Rolle als Vorbild nehmen sie schon lange nicht mehr ein. In den USA und in Frankreich waren die Väter der Demokratie der Ansicht, dass Gesetze in vollem Umfang auf die Volksvertreter selbst anzuwenden sind. Nur so kann die erzieherische Wirkung einer demokratischen Gleichheit zum Tragen kommen. Wenn die Löhne in Deutschland inflationsbereinigt in den vergangenen 15 Jahren nicht gestiegen sind, so sollten es die Diäten der Abgeordneten auch nicht. 2013 z.B. sind die Reallöhne noch stärker gefallen als erwartet. Bei der Kritik um die Diäten geht es also um weitaus mehr als um Neid und Populismus. Es geht um die Bestandssicherung der Demokratie, bei der die Kritik etwas Urdemokratisches darstellt. Aus heutiger Sicht ist der Spruch Willy Brandts „Mehr Demokratie wagen“ zu revidieren oder zeitweise zurückzustellen. Es müsste aus Sicht der Bürger heißen „Mehr Demokratie wahren“. Hinsichtlich des Politikgebarens sollte die Aufforderung heißen „Mehr Demokratie ertragen“.

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Literatur:

Hans Herbert von Arnim. Der Staat als Beute. Wie Politiker in eigener Sache Gesetze machen. München 1993.

Hans Herbert von Arnim. Die Partei, der Abgeordnete und das Geld. Parteienfinanzierung in Deutschland. München 1996.

Hans Herbert von Arnim. Die Deutschlandakte. Was Politiker und Wirtschaftsbosse unserem Land antun. München 2008.

Hans Herbert von Arnim, Macht macht erfinderisch, Der Diätenfall: Ein politisches Lehrstück, Edition Interfrom, Osnabrück 1988)